Solidarität?

Ich komme in der Debatte nicht vom Fleck, während mein Verstand galoppiert. Mit der Solidarität ist es ein wenig wie mit der Zeit; gemäß Augustinus und seinen Bekenntnissen („Quid est ergo tempus?“): Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es. Will ich es einem Fragenden erklären, weiß ich es nicht.

Ich kenne den steirischen Kulturbetrieb seit dem Jahr 1975, also schon ein Weilchen. Solidarität kommt da eigentlich nur als Slogan vor, als ideologisches Konstrukt. Was immer in diesem Sinn gedeutet werden könnte, war räumlich und vor allem zeitlich stark begrenzt. Größere Dimensionen sind mir nie untergekommen.

Vielleicht habe wir uns ein Repertoire an Posen angewöhnt, zu dem das Ausstreuen solcher Schlüsselwörter gehört: Solidarität!

In meinem Logbuch hab ich eben notiert: „An vielen Dingen, die ich derzeit kritisiere, wäre gar nichts auszusetzen, wenn es ohne Etikettenschwindel herginge, wenn die Dinge das sein dürften, was sie sind. Klarheit in den Begriffen. Verzicht auf verdeckte Intentionen. Dann wissen wir, worüber wir reden.“

Als wir heuer begannen, die Origami Ninjas auf Facebook zu installieren, empfahl mir eine Landebedienstete für kurze Zeit, mich dem Thema Solidarität anzuvertrauen, Solidarität zu üben, auf Solidarität zu bauen. Aber was heißt denn sowas in der Praxis?

Ein Beispiel
Daß wir unser beider Jahreseinkommen zusammenlegen, durch zwei dividieren und neu aufteilen, damit ich als freischaffender Künstler meinen Kompetenzen gemäß bezahlt werde? Damit ich, wenn nötig, gesicherten Krankenstand und taugliche Erholungsphasen hab? Daß ich bezahlen Urlaub genießen darf, um erschöpfte Kräfte besser erholen kann? Damit genug Kohle da ist, um verschlissene Kleidungsstücke endlich zu ersetzen?

Naja, so wird sie es nicht gemeint haben. Aber wie dann? Was ist der konkrete Ansatzpunkt, an dem ich mit einer sozial wesentlich besser gestellten Verwaltungskraft Solidarität üben kann? (Frauensolidarität ginge vermutlich nur unter Frauen.) Und worin zeigt sie Solidarität mit mir? Wie manifestiert sich das? Wie wirkt sich das aus?

Ich weiß es nicht. Nach allem Nachdenken beschleicht mich das Gefühl, Solidarität ist eine Zuschreibung für Wir-Konstruktionen, die ähnlich funktioniert wie Nationalismus. Ein Phantasma als Echo eines Konzeptes aus vergangenen Zeiten. Eine Duftmarke um Zugehörigkeit auszudrücken und einzufordern. Code. Aber ich komm noch drauf, was genau… Na, ich hab derzeit eine Ahnung…

— [Hart am Wind: Die Übersicht] —

Autor: Franz Blauensteiner

Kulturarbeiter - Theatermacher - übüKULTUR Hackler Vater Übü, alias Franz Blauensteiner Artdirektor und Theatermacher "Scheitern gehört zum Programm." Vom analogen Bühnenstück zum Low Budget Wild Style Movie in Episoden – dem Theaterfilm. übüFamily: übüDigital-übüFilm und übüLive | Digitale Kunstvermittlung: Theater im Internet und LiveActs Im 25. Jahr werkraumtheater, Neustart mit dem Brand die übüFamily: Im Pandemiejahr 2020 musste das Grazer werkraumtheater studio in der Glacisstraße 61A leider schließen. Aber dieÜbüs orientierten sich nach 25 Jahren Kulturschaffen neu und wagten sich an das „Unmögliche“, denn: Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better (Samuel Beckett) Doch jedes Ende hat auch einen Anfang. Man erfindet sich neu bzw. startet mit einem neuen Format durch, der übüFamily. Das Grazer werkraumtheater wurde im Jahr 1995 von Franz Blauensteiner und Rezka Kanzian gegründet und belebte erfolgreich die Freie Szene abseits der Norm. Was ursprünglich als Alternative zu den konventionellen städtischen Theatern ins Leben gerufen wurde, gilt heute, 25 Jahre später, als eigene Marke und steht für ausdrucksstarke Theaterkunst, die eben nicht (nur) unterhalten will, sondern auch berühren soll. Jedes einzelne Stück kennzeichnet eine mehr oder weniger starke, aber konstante Durchzogenheit von Tradition und Geschichte, welche uns etwa berühren mag, teils vielleicht auch unangenehm ist oder gar (un)ästhetisch wirkt. Gerade diese Reichhaltigkeit und Tiefsinnigkeit sind es, welche die Stücke und Projekte des werkraumtheaters so einzigartig machen. – Weg von der Norm und den Vorgaben, die uns die Gesellschaft ein-indoktriniert, hin zur Freiheit und Individualität und schließlich hin zur „freien Kunst“.